"Um 13.30 Uhr wird die Nabelschnur durchgeschnitten"

Der Tag hat früh begonnen.  Autofahrt, Zug, Frühstück, Metro und ein paar Hundert Meter zu Fuss, vorbei am Berlaymont (EU Commission) zum Parc du Cinquantenaire (unser Arc de Triomphe) führen uns unsere Schritte durch das Eingangstor des Klassizisitschen Gebäude der Königlichen Militärakademie.  Ein eintauchen in eine andere, in eine völlig fremde Welt.

Der Tagesablauf wird kurz vorgestellt.  Administratives, Ansprachen, Essen, „Um 13.30 Uhr wird die Nabelschnur durchgeschnitten“, danach können die Familien an einer Führung teilnehmen.

In der Aula, Marmor, Blattgold, schwerer, roter Samt, Flaggen, Büsten, Gemälde, alles trägt dazu bei dem Anlass einen feierlichen Rahmen zu verleihen.

In den Ansprachen heisst es noch „Ihre Kinder“ doch mir ist sehr bewusst, dass in ein paar Stunden schon, niemand mehr das Kind in diesen jungen Männer und Frauen sehen wird.  Wie sagten sie doch: „Um 13.30 Uhr wird die Nabelschnur durchgeschnitten“.

Es fallen Begriffe wie „Ehre“, „Disziplin“, „Selbstdisziplin“, „Fleiss“, „Mut“, „Men leader“, „Achtung“, „Kameradschaft“, „Elite“, „Gemeinschaft“ und neben mir sitzt mein ach so undisziplinierter 20 jähriger dem Fleiss ein Fremdwort ist.

Auf dem Weg zur Mensa begegnen wir einer bunten Mischung Uniformen.  „ein Paradies für jeden Theaterausstatter“ denke ich noch und spüre wie deplaziert ein solcher Gedanke zwischen diesen Mauern ist.  Wir haben 16 oder 17 Nationen gezählt, ja, das Wort „International“ war auch gefallen.

Um beim essen nicht wie ein Schlangenbeschwörer auf meinen Sohn zu starren schaue ich mir andere Familien an.  Einige haben ihre Groseltern dabei.  Manchen ist an zu sehen, dass die Offizierslaufbahn von Generation zu Generation fortgeführt wird.  „Tradition“ auch eines der Worte.

13.30 Uhr.  „Sie haben jetzt die letzte Gelegenheit sich von Ihrem Kind zu verabschieden“.  Ich schliesse ihn in die Arme, flüstere ihm ein paar Worte ins Ohr, drücke ihm einen Kuss auf die Wange.  Seinem Vater fehlen die Worte, ich weiss, sie lesen in einanders Augen.  Er legt ihm seine Hand auf den Rücken und entlässt ihn, die Stimme von Emotionen gebrochen, mit einem kaum vernehmbaren „maach et jot Jong“ (machs gut Junge)

Um 13.30 Uhr wurde die Nabelschnur durchgeschnitten.  Seines Vaters Hand sucht die meine.

26 Kommentare zu „"Um 13.30 Uhr wird die Nabelschnur durchgeschnitten"

  1. Vereidigung? Mein Sohn war Zivi. Ich habe also nicht seine, aber ich habe im vorigen Jahr, eine Vereidigung erlebt. Stolz und Disziplin….und so viel Jungen……und ich wünschte nur: Bitte, bitte, findet euren Weg und begreift, dass das möglicherweise, weder Spiel noch Abenteuer wird….und dass niemand
    verantwortlich sein wird….. als ihr.

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    1. Nein, nicht Vereidigung.

      Nach bestandenen Prüfungen war das jetzt erstmal Aufnahme in die Militärakademie.

      In 6-7 Wochen wird entschieden ob er bleiben kann… und das wird dann in regelmässigen Abständen wieder überprüft. (Die einzige Belgische Universität von der du fliegen kannst ohne irgendwelche schwerwiegenden Fehler sondern wegen Charakterschwäche, Körperlicher unzulänglichkeit oder einfach Inkompatibilität mit dem System.)

      Schon die Ausbildung wird weder Spiel noch Abenteuer, wer das sucht kommt da nicht weit. Vorne kommen Kinder hinein und nach vielen Jahren hinten verantwortungsbewusste Menschenführer und Entscheidungsträger heraus.

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    1. Bei der Geburt hat sein Papa ihm die durchgeschnitten die ihn mit mir verband, am Dienstag galt der Schnitt der Schnur die mit den Jahren zwischen Vater und Sohn entstanden ist.

      Vermutlich sind wir Frauen geübter darin unsere Kinder los zu lassen. Wir waren dort nicht das einzige Paar bei dem ich das Gefühl hatte der Mann leide gerade mehr unter dem was da vor sich geht.

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  2. Immer wieder erleben wir alle, mit jedem Tag den wir älter werden und länger leben, dass der „Fortgang“ unser aller Geschichte(n) eben auch oft das „fortgehen“ von Menschen bedeutet, die uns viel bedeuten…

    Als ich hier bei dir las, jetzt eben, da fühlte ich den Stolz und die Traurigkeit seines Vaters. Ich fühlte die Achtsamkeit der Mutter, und ich fühlte die, trotz aller jugendlicher Erwartungshaltung, versteckt vorhandene Unsicherheit des Sohnes.

    Und jetzt fühle ich mich.
    Danke für dein Erzählen hier.

    Alles gute, für den kleinen Wolf.

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  3. er nabelt sich ab,

    die Art und Weise
    schmerzt Euch

    was bleibt ist die
    Hoffnung,
    dass er den richtigen Weg
    für sich gewählt hat
    unabhängig von den Ängsten,
    die die Eltern spüren.

    Dich drücke

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    1. „Sein“ abnabeln hat er vor zwei Jahren, als er zur Uni ging hinter sich gebracht.

      Hier hat sein Papa den Schnitt heftiger gespürt, hat wohl auch etwas damit zu tun dass er ihn in eine „Männerwelt“ entlässt.

      Danke fürs Drücken, tut immer wieder gut 🙂

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